Geschrieben von Manfred-G. Haderer
Es war ein denkwürdiger Tag im Hochschwarzwald, als am 21. Mai 1887 die Höllentalbahn eröffnet wurde, die erste fauchende Dampflok am Titisee eintraf, der Badische Großherzog diesem Ereignis mit seiner Anwesenheit Glanz und Würde verlieh und Festredner Faller vor erwartungsvoller Nervosität gar einen Herzschlag erlitt.

So viel Aufregung kannte man bisher nicht hier oben, hier wo die bewalmten Bauernhöfe noch weit auseinander lagen, am heute weltbekannten Titisee noch kaum ein Haus stand und Hinterzarten noch eine bäuerliche Streusiedlung war. Zwei Tage später wurde diese spektakuläre Bahnstrecke für den normalen Zugverkehr freigegeben. 125 Jahre ist das nun her, und das Ereignis wird deshalb auch gebührend gefeiert.

Wintersportler und Luftschnapper – Geburtsstunde des Tourismus

Für den Hochschwarzwald begann mit der Anbindung an das Eisenbahnnetz des Kaiserreiches eine neue Zeit. Es war die eigentliche Geburtsstunde des Schwarzwaldtourismus und mithin der Beginn einer beinahe unglaublichen Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält. Einer der etwas dazu zu sagen hat, ist Georg Thoma, Olympiasieger, Weltmeister, bescheiden-sympathische Sportlerlegende. Im Hinterzartener Skimuseum erzählt er manchmal davon. Etwa wenn er bei einem Vortrag schildert, wie die frühen Wintersportler und städtischen ‚Luftschnapper‘ schon um 1900 hinauf zogen ‚auf den Wald‘. Wie sie mit den ersten ‚Holzlatten‘ den Feldberg eroberten oder die ersten Liegestühle am Titisee aufstellten. Der Tourismus veränderte den Hochschwarzwald, nachhaltig und durchaus rasant. Ein Massenphänomen war geboren, und die Höllentalbahn war mehr als nur der ‚Geburtshelfer‘.

Vom düsteren Durchgang zur Hauptverkehrsader – das Höllental

Abzusehen war diese Entwicklung sicher noch nicht, als im so unwegsamen Höllental mit seinen Postkutschenstationen die Bahntrasse in den Felsen gesprengt, Tunnels gebaut und das erste Ravenna-Viadukt mit Hilfe italienischer Steinhauer hochgezogen wurde. Reisende, Naturfreunde und sogenannte ‚Sommerfrischler‘ hat der Schwarzwald zwar schon sehr früh angezogen, wie die Gästebücher der Herbergen und zeitgenössischen ‚Hotels‘ belegen. Manch illustrer Gast hat sich eingetragen: Goethe, Mendelssohn, später auch ein junger Adenauer. Nicht zu vergessen natürlich Marie-Antoinette, die auf ihrem schicksalshaften Brautzug gen Frankreich ebenfalls das Höllental passieren musste und Gast im Steigenwirtshaus war, jenem ‚Hofgut Sternen‘, das bis heute dem Tourismus verbunden blieb. Doch lange Zeit blieb der Zugang zum Schwarzwald unwegsam, beschwerlich, im Winter oder bei Hochwasser gar lebensgefährlich. Eben das ‚Höllental‘: fünf-, sechshundert Meter tief eingeschnitten, schroffe Felsklippen, ein schmaler Weg, daneben ein reißender Bach.

Jahrzehnte der Planung

Doch der düstere Name hielt Visionäre und Verkehrspioniere nicht von der kühnen Erschließung ab. Zwar plante man fast drei Jahrzehnte für diese Bergbahn. Doch als es schließlich soweit war, dauerte es unter der Bauleitung eines genialen Robert Gerwig gerade mal vier Jahre vom ‚Spatenstich‘ bis zur Ankunft des ersten Dampfrosses oben am Titisee. Auf den 25 Kilometern zwischen Freiburg und dem Scheitelpunkt bei Hinterzarten werden rund 620 (!) Höhenmeter überwunden, neun Tunnel durchquert und das 222 Meter lange Viadukt über die Ravennaschlucht überbrückt. Erst 1933, mit Einführung der eigens konstruierten schweren Dampflok-Baureihe 85 konnte der Zahnradbetrieb aufgegeben werden. Heute bringen längst die modernen roten Doppelstockzüge die Fahrgäste hinauf nach Titisee. An manch sonnigen Herbst- und Winterwochenenden sind sie brechend voll, was die Bedeutung dieser Strecke für den heutigen Freizeittourismus nachhaltig belegt.

Rascher Strukturwandel einer neuen Zeit

Die Schwarzwälder sind lernfähig. Vor 125 Jahren bei der Eröffnung der Höllentalbahn ebenso wie heute. Denn beinahe schlagartig veränderte sich eine jahrhundertealte Struktur. So wie sich die Gäste ‚aus der Stadt‘ einst an der romantisch verklärten Idylle einer unbekannten Bergwelt erfreuten, so wie 1891 ein Dr. Pilet, französischer Konsulatssekretär in Norwegen, die ersten Schi auf den Feldberg brachte oder Studenten mit dem Rucksack auf die Aussichtspunkte zogen, so erkannten auf der anderen Seite die Einheimischen die Chance auf eine neue, zusätzlichen Einnahmequelle. Um die Stationen und Bahnhöfe im ‚Laubsägle-Stil‘ entstanden bald schon Ansiedlungen und völlig neue Ortskerne. Aus Bauerwirtschaften wurden respektable Gasthöfe, die ersten Hotels entstanden. Titisee, Hinterzarten mögen beispielhaft stehen für diese Entwicklung. Auf dem Feldberg gelten Fanny Mayer und ihr aufstrebender ‚Feldbergerhof‘ bis heute als Paradebeispiel der ‚neuen Zeit‘: 100 Gästebetten, welch ein Fortschritt! Der Schwarzwaldverein trug zusätzlich zur Bekanntheit der Region bei, baute rasch Wege, Aussichtsplätze, Türme, beschilderte Pfade für die wandernden ‚Städter‘. Auch wenn man anfänglich noch unglaubliche zweieinhalb Stunden von Freiburg hinauf nach Titisee brauchte, der Tourismus florierte. Hatte einen der Zug erst einmal bis hierher gebracht, dann kam man auch weiter bis ans Ziel: Mit der Postkutsche, mit dem hoteleigenen Schlittengespann, bald mit den ersten Automobilen. Auf frühen, eckigen Bussen liest man die werbewirksame Aufschrift ‚Höhenverkehr Titisee-Hinterzarten‘.

Schwarzwald wird Hochburg des Wintersports

Vor allem die Wintersportler zog es aus den Städten hinauf auf die Höhen. Rodelbahnen und Sprungschanzen wurden gebaut. Tausende verfolgten bald schon die kühnen Sprünge wagemutiger Männer mit dieser merkwürdigen Technik weit nach vorne gestreckter Arme. Schlittschuh-Bahnen lockten, alpine Meisterschaften wurden ausgetragen und im kleinen Schollach baute der Schneckenhofwirt den ersten Schilift der Welt. Kameramann Sepp Allgaier drehte hier seine ersten großen Winter- und Schifilme, richtungsweisende Dokumentationen die ihre Werbewirksamkeit nicht verfehlten. Alte Schwarzweißfotos dokumentieren den Massenansturm, angezogen auch von manchen Kuriositäten, die heute allein schon aus Sicherheitsgründen undenkbar wären: Flugzeugstarts auf dem zugefrorenen Titisee, Autorennen an gleicher Stelle.

6 Millionen im 30-Minuten-Takt

Auch wenn die Winterfreuden spektakulärer waren, die ‚Sommerfrischler’ zog es ebenfalls durchs Höllental. Und über die später gebauten Verlängerungsstrecken erreichten Sonderzüge nun auch Luftkurorte wie Altglashütten, Schluchsee oder Lenzkirch. ‚Milchwirtschaften‘ und blau-weiße Umkleidekabinen in den ersten Freibädern wurden für die Gäste eingerichtet, Kurparks und Promenaden gebaut, Konzerte und Freilichtspiele veranstaltet. Längst haben sich solche Freizeit-Vorlieben geändert… Doch die Schwarzwälder haben den Wandel stets mitgemacht, sind auf der ‚Höhe der Zeit‘ geblieben und haben die zeitgemäßen touristischen Herausforderungen angenommen. Die Höllentalbahn allerdings ist geblieben. Zuverlässig bringt sie Wanderer, Mountainbiker und Snowboarder hinauf, entlässt sie ins neue Badeparadies und holt sie auch wieder ab: vom Weihnachtsmarkt in der Ravennaschlucht, nach bunten Seenachtsfesten oder schlicht vom Wochenendausflug. Sechs Millionen Fahrgäste jährlich nutzen heute den 30-Minuten-Takt.


Quelle: Schwarzwald Tourismus GmbH