Meine Bedenken zum Tauchen waren im Lauf der Zeit zu einer stattlichen Sammlung angewachsen. Nicht ungefährlich, klar. Besonders am Bodensee. Kaltes Wasser. Das Anschaffen der Ausrüstung verschlang ein Vermögen.
Dann jedoch kam der Moment, in dem das alles herausgefordert wurde. Eines Abends in der Haupthalle unseres Hotels saßen wir da und warteten, dass das Abendessen-Buffet eröffnet werden würde. Es arbeitete in Annette, das konnte ich sehr deutlich merken, wusste aber nicht genau, wieso. In der Hotelhalle, genau vor dem Buffet-Restaurant, stand eine Reihe von Tischen. An einem konnte man eine Immobilie in El Gouna käuflich erwerben, an einem anderen hatte die Tauchbasis des Hotels ihr Lager aufgeschlagen und versuchte, Ausflüge und Kurse an den Mann (und die Frau) zu bringen. Annette hatte sich ein Prospekt von der Tauchbasis geholt und studierte es. Plötzlich drehte sie sich zu mir um.
„Wolltest Du nicht auch schon immer mal tauchen lernen?“
Was bitte? Bevor ich meinen Katalog mit allen möglichen Bedenken auspacken konnte, fragte sie mich, ob ich wüsste, was bei den ganzen Tauchscheinen, die man machen kann, denn der Unterschied sei. Ja nun, äh… keine Ahnung. Ich hatte mich mit dem Thema zwar beschäftigt, aber so tief war ich in die Materie dann doch nicht eingedrungen. Annette jedoch wollte sich erkundigen und ging herüber zum Tisch der Tauchbasis, um mal nachzufragen. Ich war etwas verwirrt. Worauf lief das jetzt raus? Von schwimmen war die Rede gewesen vor unserem Urlaub, vom Schnorcheln… was sollte das werden? Annette kam kurz darauf zurück und hatte – offenbar unfreiwillig – einen Typ von der Tauchbasis im Schlepptau. Nachdem sie über eine Teppichkante gestolpert war, schaffte er es auch, sie einzuholen. Dann erklärte er uns, was genau der Tauchschein „Scuba Diver“ beinhaltete: Tauchgänge sind beschränkt auf eine Tiefe von 12 Metern und nur in Begleitung eines „Professional“, sprich: eines Tauchlehrers. Schön, jetzt wissen wir das ja. Und jetzt geh sch…
Hallo!
Was? Wer spricht da?
Hier spricht Dein Tatendrang. Wenn Du so fasziniert vom Tauchen bist, warum probierst Du es nicht mal? Jetzt hast Du die Chance dazu.
„Ich mach den Scuba Diver!“, verkündete Annette in dem Moment. „Machst Du mit?“
Na siehst Du. Und schon hättest Du die passende Partnerin dazu.
Was mich in dem Moment noch zögern ließ, verstand ich erst später vollständig. Mein ganzes Leben lang hatte ich mich auf eine bequeme Position zurückgezogen, was das Tauchen betraf. Immer hatte ich Gründe in den Vordergrund geschoben, warum es besser war, das nicht anzufangen. Gefahr, Kälte, Geld… Aber so? Hier in Ägypten könnte man es wenigstens mal soweit ausprobieren, dass man wirklich sagen konnte, ob es etwas für einen war oder nicht. Aber wie es so ist, der Rückzug auf die bequeme Position war eine alte Gewohnheit, und mit alten Gewohnheiten bricht man nicht so leicht. Auch wenn man spürt, dass eigentlich nur etwas Gutes dabei herauskommen kann. Man möchte den „sicheren Hafen“ lieber nicht verlassen. Annette merkte das und bohrte nach. Dabei konnte ich ihr zu dem Zeitpunkt nicht mal genau sagen, was mich zögern ließ. Mir fehlte der Einblick.
Komm schon, hör auf Deinen Tatendrang!
Was ist mit meinen Bedenken?
Oh, das ist kein Problem. Courage und ich, wir haben die Bedenken überwältigt, gefesselt und geknebelt. Die melden sich so schnell nicht wieder.
„Thorsten, man lebt nur einmal“, hörte ich Annette in dem Moment sagen. „Wenn du das genauso willst wie ich, dann mach es doch einfach. Was sollte dich denn daran hindern?“ Und sie streckte mir die Hand hin. Das war ein Wort. Ich nahm sie an und wir sprangen auf, um uns am Tisch der Tauchbasis für den Kurs anzumelden. Der junge Mann rechnete im Kopf durch. Wir sollten am nächsten Tag zur Tauchbasis selbst gehen und uns anmelden. Einen Tag später würde der Kurs selbst losgehen.
Wollte man unseren Zustand beschreiben, so ist „elektrisiert“ sicherlich das richtige Wort. Tatsächlich blieben meine Bedenken stumm. Wir überlegten uns, ob wir wohl die Schweizerin als Lehrerin bekommen würden und stellten fest, dass wir schon wieder die gleichen Gedanken gehabt hatten – die hatte eine angenehme, ruhige Art an sich, da wäre das sicherlich kein Problem für uns. Doch erstmal stand die Theorie an. Und die kam schneller, als wir gedacht hatten. Am nächsten Tag gingen wir gleich nach dem Frühstück zur Tauchbasis, kämpften uns durch die Anmeldeformulare, bevor es hieß: „And now theory!“ Damit begann alles einen Tag früher als wir gedacht hatten.
Tatsächlich hatte das was von Schule, als man uns die Lehrfilme über das Tauchen vorführte, insgesamt über zwei Stunden. Erfreulich für mich war, dass das meiste in der Theorie eigentlich Wiederholung dessen war, das ich schon gelernt hatte im Zusammenhang mit Tauchnotfällen, gerade was physikalische Vorgänge betraf. Da Annette und ich beide aus dem medizinischen Sektor kommen, sind uns gewisse Dinge sowieso eher vertraut. Dummerweise eben gerade die Negativen, aber dazu kommen wir noch.
Ausgerüstet mit dem Lehrbuch für den Kurs kehrten wir in unseren Bungalow zurück und fingen an, das gesehene zu verarbeiten, soweit uns das möglich war. Die Sache ist nun mal die, dass man das Tauchen nicht nur mit Theorie lernen kann. Man muss sich auch gewisse Fertigkeiten aneignen. Und der erste Pool-Tauchgang sollte schon an gleichen Nachmittag stattfinden. Dazu sollten wir etwas früher zur Tauchbasis zurückkehren, denn wir mussten noch die richtige Ausrüstung finden, Neopren-Anzug, Tarier-Jacket… all sowas.
Beim Nachlesen im Buch fielen mir besonders wiederum ein paar negative Dinge auf. Stichworte wie „Luftembolie“, „Lungenriss“ oder „Barotrauma“. Und auf einmal hörte ich eine leise Stimme in meinem Hinterkopf.
Worauf hast Du Dich da eingelassen?
Oh, hallo Bedenken. Habt Ihr Euch befreien können?
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